Wird ein Kind als nicht glaubwürdig eingestuft, so kann das weitreichende Nachfolgen haben.
Angenommen ein Kind wurde durch Missbrauchshandlungen stark traumatisiert, entwickelte dissoziative und andere schwerwiegende psychische Symptome. Es kann von den Missbrauchshandlungen berichten und alle Symptome sprechen dafür, dass es derartige Handlungen erlebte. Dennoch wird das Kind als nicht glaubwürdig eingestuft, da man mit dem Kind vor der Begutachtung öfter darüber gesprochen hatte. Wenn dieses Kind später einen Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz stellen möchte, so wird dies in der Regel vom Versorgungamt abgelehnt, da es bei der Begutachtung nicht glaubwürdig war.
Fall 12:
Ein Kind wurde – nach therapeutischen Erkenntnissen – durch seinen Vater, der Rechtsanwalt war, missbraucht und wurde an andere Männer weiter verkauft. Dieser Vater war juristisch „gut informiert“ und als im jugendlichen Alter des Opfers eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung durchgeführt wurde, wurden die Aussagen als unglaubwürdig dargestellt, weil es schon immer die Neigung zum Lügen gehabt hätte und die Mutter ihm die Sachen nur eingeredet haben sollte. Die inzwischen junge Frau hat extreme soziale Ängste und sehr viele Symptome, die auf umfangreichen und schwer traumatisierenden Erfahrungen beruhen. Sie versuchte nach dem Opferentschädigungsgesetz ein Stück Unterstützung zu bekommen, was aber inzwischen auch in der zweiten Instanz abgelehnt wurde.
Fall 13:
Eine Patientin von mir wurde -nach therapeutischen Erkenntnissen- im Alter von 8 bis 11 Jahren durch einen pädophilen Mann über 4 Jahre sexuell missbraucht. Auf Grund schwieriger familiärer und sozialer Schwierigkeiten erinnerte sie den Missbrauch erst Jahre später als Erwachsene, während eines Klinikaufenthaltes. Als sie einen Antrag beim Versorgungsamt auf Opferentschädigung einreichte, wurde sie von einer Mitarbeiterin des Versorgungsamtes, einer dafür geschulten Juristin, vernommen und die Aussagen wurden durch eine weitere Mitarbeiterin, einer Psychologin, auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersucht, ohne dass diese die Patientin kannte, also nach Aktenlage. Der Antrag wurde abgelehnt, weil die Patientin angeblich als nicht glaubwürdig eingestuft wurde. Ein Hauptargument bestand darin, dass es nicht möglich sei, den Missbrauch nicht vorher erinnert zu haben.
Die Patientin hatte vor dem Gespräch beim Versorgungsamt extrem viel Angst und ich habe sie deswegen dorthin begleitet. Die Ablehnung des Antrages löste in ihr tiefe Betroffenheit und Verzweiflung aus, weil man ihr wieder einmal nicht geglaubt hatte, wie damals ihre Eltern.
Opfer sexueller Gewalt – das ist meine Erfahrung – leiden extrem darunter, dass ihre Aussagen in Frage gestellt werden. Diese semiprofessionelle Begutachtung, wie in dem o.g. Fall dürfte so nicht stattfinden. Es wäre gut, wenn man den TraumatherapeutenInnen und deren Berichten mehr Glauben schenken würde, die ja meist mit den Opfern jahrelange Therapien durchgeführt haben.
Fall 14:
Im Verlauf einer familienrechtlichen Begutachtung ergaben sich Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch den getrenntlebenden Elternteil. Der Richter ordnete daraufhin eine Glaubwürdigkeitsuntersuchung an, mit dem Ergebnis, dass entsprechend der Nullhypothese diese nicht verworfen werden konnte und das Kind mit seinen Aussagen als nicht glaubwürdig beurteilt wurde. Der Familienrichter übernahm dann diese Einschätzung und das Kind musste den Vater weiter besuchen, obwohl es sich vehement dagegen gewehrt hatte. Der Mutter wurde unterstellt, dass sie das Kind negativ gegen den Vater beeinflusst hätte und es wurde ihr damit gedroht, das Sorgerecht zu entziehen, wenn sie nicht aufhören würde, das Kind zu beeinflussen.
Erschreckend an diesen Beispielen ist, dass die Symptome von Kindern, vorher getätigte Aussagen, Verhaltensauffälligkeiten, Kinderzeichnungen, Beobachtungen im Kindergarten, bei der derzeit gängigen Glaubwürdigkeitsbegutachtung keinen Eingang finden und nicht mit hinzugezogen werden. Der/die Sachverständige, – das ist mein Eindruck von vielen Gutachten – ist darauf fixiert nachzuweisen, dass die Realkennzeichen nicht erfüllt werden und er/sie sich somit jede weitere Untersuchung ersparen kann.
Die Begutachtung Erwachsener, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden, gestaltet sich noch schwieriger. Eine Patientin von mir, die über Jahre durch ihren Vater und in Pädophilen-Kreisen in sadistischer Form und im Zusammenhang mit anderen Kindern sexuell missbraucht worden war, zeigt ihren Vater an, damit nicht noch weitere Kinder missbraucht würden. Ich habe diese Patientin über Jahre therapeutisch begleitet und ich habe keinen Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Vier unterschiedliche Sachverständige kamen zu vier ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Für die Patientin waren die Begutachtungen eine seelische Qual. Ihre Aussagen wurden am Ende für nicht glaubwürdig befunden. (Diesen Fall habe ich in einem Artikel veröffentlicht. “Aussagepsychologische Begutachtung Erwachsener, die in der Kindheit traumatisiert wurden” in dem Handbuch “Trauma und Dissoziation – Interdisziplinäre Kooperation für complex traumatisierte Menschen”: FLISS, C. & IGNEY, C. 2008)
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